Wittstock-Ruppin bald überall?
RA Georg Hoffmann, Berlin
Die Kirchenleitung hat zwei Gesetzesentwürfe beschlossen, zu denen die Kreiskirchenräte zur Zeit angehört werden. Die Gesetzesentwürfe sehen eine umfangreiche Änderung der Grundordnung und die Einführung eines Gesamtkirchengemeindegesetzes vor. Das Konsistorium bezeichnete es als ein „offenes Geheimnis“, dass damit die Wittstock-Ruppiner Kirchenkreisreform in das allgemeine Recht der Landeskirche eingeführt werden soll.Bekanntlich besteht die Wittstock-Ruppiner Kirchenkreisreform aus zwei Hauptbestandteilen:
- der Abschaffung des Gemeindepfarramtes zugunsten von Grundversorgern (ortsbezogener Dienst) und Spezialisten (aufgabenorientierter Dienst)
- der Bildung von Gesamtkirchengemeinden
Überblick über das Gesetzesvorhaben:
Erweiterte Kompetenzen der KirchenkreiseDie geplante Änderung der Grundordnung sieht vor, dass die Kreissynode künftig mit einfacher Mehrheit die Aufteilung des (Gemeinde-)Pfarrdienstes im Kirchenkreis in aufgabenorientierten und ortsbezogenen Dienst beschließen kann. Außerdem soll die Kreissynode beschließen können, einzelne Aufgaben der Kirchengemeinden künftig vom Kirchenkreis wahrnehmen zu lassen (z.B. – aber ohne Begrenzung hierauf – die Kinder u. Jugendarbeit, Kirchenmusik), und – mit 2/3-Mehrheit und bei Vorliegen sachlicher Gründe – soll die Kreissynode zudem sogar Stellen für kirchengemeindliche Aufgaben ganz beim Kirchenkreis errichten können, insbesondere solche Stellen, die für mehrere Kirchengemeinden bestehen sollen, wobei davon auch Pfarrstellen nicht ausgenommen werden.Einführung von GesamtkirchengemeindenDie Kirchenleitung hat den Entwurf eines Gesamtkirchengemeindegesetzes vorgelegt, das seine Grundlage in einer Ergänzung der Grundordnung finden soll. Der Gesetzesentwurf entspricht im wesentlichen der Regelung in Wittstock-Ruppin, jedoch ist es den Gemeindekirchenräten überlassen, ob sie ihre Gemeinde als Gesamtkirchengemeinde gliedern wollen. Die örtliche Gliederung mit Ortskirchenräten und die Abgrenzung der Aufgaben sowie die fakultative Bildung einer Gesamtgemeindevertretung soll durch gemeindliche Satzung erfolgen, die der kirchenaufsichtlichen Genehmigung bedarf. Das Konsistorium wird zur Vereinfachung eine Mustersatzung entwickeln, die den in Wittstock-Ruppin gebräuchlichen sicher entsprechen wird. Unmittelbar durch Gemeindewahl werden nur die Mitglieder der Ortskirchenräte bestimmt, während die Mitglieder des (Gesamt-)Gemeindekirchenrates von den Ortskirchenräten oder – wenn sie in der Satzung vorgesehen ist – der Gesamtgemeindevertretung gewählt werden, wobei wählbar aber – anders als in Wittstock-Ruppin – nur die Mitglieder von Ortskirchenräten sind. Zur Aufhebung oder Änderung von Ortskirchen(-gemeinden) ist ein mit 2/3-Mehrheit gefasster Beschluss des (Gesamt-)Gemeindekirchenrats bzw. der Gesamtgemeindevertretung ausreichend; der Ortskirchenrat hat als einziges Gegenrecht die Möglichkeit, die Zustimmung des Kreiskirchenrates zu verlangen, und auch das nur, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht.
Kritik an den Gesetzesvorhaben
Mögliche Aufteilung des PfarrdienstesDie Aufteilung des Pfarrdienstes in ortsbezogenen und aufgabenorientierten Dienst läuft dem biblisch begründeten gemeindlichen Hirtenamt entgegen und wird den spezifischen Aufgaben und Möglichkeiten des Gemeindepfarramtes nicht gerecht. Seelsorge als arbeitsteilige Dienstleistung ist nicht möglich. Persönliche Bindung und Bekanntheit sind für die Wahrnehmung seelsorgerischer Aufgaben das A und O.Erweiterte Kompetenzen der KirchenkreiseDie erweiterten Aufgaben der Kirchenkreise lassen die Kirchengemeinden nur noch als bloße Untergliederungen der Kirchenkreise erscheinen, ohne dass ihnen noch wesentliche Rechte garantiert wären. Der Versuch, dies mit einer persönlichen Mitgliedschaft der Gemeindeglieder auch im Kirchenkreis zu rechtfertigen, wie es die Gesetzesvorhaben vorsehen, zeigt, dass die Kirchenkreise in die Rolle von Kirchengemeinden eintreten sollen, ohne dass dies jedoch im Bewusstsein der Gemeindeglieder eine hinreichende Grundlage fände.Die Kirchenkreise werden nach den Gesetzesvorhaben alle Hauptaufgaben des gemeindlichen Lebens bestimmen können. Eine Schlüsselfunktion kommt insoweit dem Recht der Kirchenkreise zu, die (Pfarr-)Stellenplanung, -errichtung und -besetzung ebenso an sich ziehen zu können wie einzelne andere gemeindliche Aufgaben. So wird künftig die Wiederbesetzung einer Pfarrstelle davon abhängen, ob die Kirchengemeinde die vom Kirchenkreis gewünschte gemeindliche Struktur angenommen hat oder mit anderen Kirchengemeinden gehörig zusammenarbeitet bzw. sich zusammenschließt.Einer Pfarrsprengelbildung bedarf es künftig nicht mehr, da der Kirchenkreis eine Gemeindepfarrstelle auch für mehrere Kirchengemeinden als kreiskirchliche Pfarrstelle errichten oder überhaupt nur eine Stelle im ortsbezogenen Dienst vorsehen kann.Welche Rechte die Kirchengemeinden bzgl. der Besetzung von Pfarrstellen im ortsbezogenen Dienst haben werden, würde ein noch zu entwerfendes Kirchengesetz ergeben müssen. Nach dem Wittstock-Ruppiner Modell hätten die Ortskirchenräte kein Mitspracherecht und auch die Gemeindekirchenräte bzw. Gesamtgemeindevertretung werden nur eine eingeschränkte Einflussmöglichkeit erhalten, da der ortsbezogene Dienst ja gerade beim Kirchenkreis angesiedelt sein soll, um die kirchenkreisinterne Versetzung der Pfarrer von einem Aufgabenbereich in den anderen zu ermöglichen. Das war das sogenannte „Kernstück“ der Kirchenkreisreform in Wittstock-Ruppin.Nach den geplanten Gesetzesänderungen würde Art. 35 Abs. 1 der Grundordnung völlig leerlaufen, wonach über die Errichtung und Aufhebung von Gemeindepfarrstellen das Konsistorium bzw. die Kirchenleitung entscheidet. In anderen Landeskirchen wird mit vergleichbaren Regelungen ernst gemacht und nach dem Muster der Evangelischen Landeskirche von Braunschweig ein detailliertes Pfarrstellenbemessungssystem zur Anwendung gebracht. Bei uns hingegen sollen über diese zentralen Punkte im gemeindlichen Leben die Kirchenkreise nach freiem Ermessen ohne jeden nachprüfbaren Vergleichsmaßstab entscheiden können, und die Frage, ob eine Gemeindepfarrstelle wirksam errichtet ist, wird für die Frage ihrer Besetzbarkeit keine entscheidende Rolle mehr spielen.Möglichkeit von GesamtkirchengemeindenDie Einführung einer Möglichkeit, Gesamtkirchengemeinden zu bilden, ist zunächst als Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten zu begrüßen. Kritisch sind jedoch einige Details zu sehen. So werden die Ortskirchenräte eigentlich nur Taschengeldgeschäfte mit Barzahlung vornehmen können, denn sie verfügen über kein Dienstsiegel, das für rechtlich wirksame Verpflichtungen erforderlich wäre. Die Aufgabe des kirchlichen Lebens vor Ort versteht das Konsistorium bisher in Wittstock-Ruppin nicht im Sinne einer grundsätzlichen Allzuständigkeit für örtliche Fragen des kirchlichen Lebens, sofern diese nicht anderen Stellen übertragen sind, sondern bloß im Sinne einer die Aufgaben des (Gesamt-)Gemeindekirchenrats ergänzenden Hilfszuständigkeit. So soll z.B. ein Ortskirchenrat nicht das Recht haben, die Struktur der Gesamtkirchengemeinde in Frage zu stellen oder einen Pfarrer mit Gottesdiensten zu beauftragen, der in der Gesamtkirchengemeinde abgelehnt wird. Auch das Hausrecht für seine Kirchen und sonstigen Gebäude wird ihm nicht zugestanden, wenn der Gesamtgemeindekirchenrat anderer Auffassung ist als der Ortskirchenrat. Er darf nur zusätzliche Gottesdienste organisieren, mit denen die Gesamtkirchengemeinde einverstanden ist, den Altarschmuck gestalten und so zu sagen den Rasen mähen.Dem Ortskirchenrat steht – anders als es bei einem Pfarrsprengel – kein Mitspracherecht bei der Pfarrstellenbesetzung oder der Abberufung eines Pfarrers zu. Ein Vetorecht hinsichtlich eines Verkaufs einer seiner Liegenschaften ist nicht vorgesehen, wenn sich nicht die Satzung eigens hierzu auslässt . All dies wird leicht das Gefühl der eigenen Sinn- und Bedeutungslosigkeit im Ortskirchenrat erzeugen, was nicht gerade dazu angetan ist, das Ortsältestenamt attraktiv zu machen.Für den Gemeindepfarrer wird übrigens leicht zur Falle werden können, dass er nach den Gesetzesentwürfen an den Sitzungen der Ortskirchenräte nicht teilnehmen muss. Bleibt er den Sitzungen fern, kann hierdurch eine Entfremdung zwischen ihm und den Ortskirchenräten entstehen. Kommt hinzu, dass sich der Informationsfluss zwischen Gesamtkirchengemeinde und Ortskirchenrat als schwierig gestaltet, sind Spannungen vorprogrammiert. Will der Gemeindepfarrer solche vermeiden, wird das Gesamtkirchengemeindegesetz zu einer deutlichen Vermehrung der Gremienarbeit führen, da auch – anders als bei mehreren selbständigen Gemeinden – die bewährte Praxis gemeinsamer GKR-Sitzungen bei Ortskirchenräten ausscheidet, da solche ein tatsächlich vorhandenes Gremium abgeben würden, das den (Gesamt-)Gemeindekirchenrat bzw. die Gesamtgemeindevertretung vor den Augen aller als deutlich überflüssig erscheinen ließe.
Zusammenfassung
Alles in allem sind die Gesetzesentwürfe als unevangelisch und gemeindeschädlich abzulehnen. Die Kirchenkreise sind keine Kirchengemeinden, sondern eine bloß dienende Verwaltungsebene. Festzuhalten ist an der altbewährten Möglichkeit, ggf. – falls die eigenen Kräfte nicht ausreichen – einen Pfarrsprengel zu bilden. Im Hinblick auf die Errichtung und Aufhebung von Pfarrstellen wäre die Einführung eines objektivierbaren Vergleichsmaßstabs durch ein Pfarrstellenbemessungssystem wünschenswert.RA Georg Hoffmann, Berlin